Schwangerschaftsdiabetes - mein Erfahrungsbericht
" ... der zweite Wert war leicht erhöht, sie sollten in die Diabetessprechstunde, vor allem auch, da sie ja schlank sind...", sagte mir meine Frauenärztin am Telefon. Beim Glukosetest meinte die medizinische Praxisassistentin, dass ich ja schlank und die Werte sicher gut seien. Als sie mir sagte, dass sie sich jeweils nur melden würden, wenn die Messwerte zu hoch sind, rechnete ich nicht mit einem Anruf. Schliesslich war ich sportlich und ernährte mich relativ gesund. Doch dann rief mich meine Frauenärztin an.
Von den drei Werten beim Zuckertest war der zweite um 0.2 zu hoch und als ich nachfragte, ob ich jetzt Schwangerschaftsdiabetes habe, meinte sie «Ja». Ich fiel aus allen Wolken, liess mir aber am Telefon nichts anmerken.
Nach dem Telefonat brachen alle Dämme, Hormone sei Dank. Ich fragte mich, was ich alles falsch gemacht habe und warum ich in der ersten Schwangerschaft nichts gehabt habe und nun in der zweiten aber schon? Ich war am Boden zerstort, irgendwann wurde ich wütend. Es kann doch nicht sein, dass ich keine Risikofaktoren erfülle, gesund koche, ja sogar das Müesli selbst mache und dann Schwangerschaftsdiabetes bekomme?
Kann es wirklich sein, dass man auch am Wochenende keine Lasagne essen darf? Klar, bei den Süssigkeiten war es mir klar, aber trotzdem unerklärlich warum ich das haben soll und andere nicht.
Die ganzen Fragen nützten nichts, die Diabetesberaterin rief für einen Termin an und meinte «ja, dann lassen Sie mal die Süssgetränke weg». Zwei Gläser Sirup pro Woche sind also zu viel? Egal, ich vereinbarte einen Termin für den nächsten Tag und lernte mich zu stechen.
Ab der 31.Schwangerschaftswoche mass ich meinen Blutzucker viermal täglich.
Ein Gericht, welches auch mein Blutzuckerspiegel gut fand: Reis mit Grillgemüse und Fisch.
Meine Laune passte sich ziemlich schnell meinen Werten an, was irgendwie traurig war. Aber ich wollte es einfach nicht wahr haben. Trotz neu gewonnenem Wissen konnte ich mir aber vieles nicht erklären. Beispielsweise wie meine Werte nach dem Essen immer gut sein konnten, der Nüchternwert morgens jedoch immer nur knapp gut war. Anscheinend soll man nächtliches aufstehen möglichst vermeiden, da das den Nüchternwert beeinflussen könne. Haha, guter Witz, Schwangere mit Kleinkind schlafen ja immer durch... Teilweise war ich sehr frustriert, beispielsweise als die Ernährungsberaterin fragte, wie viele Darvida ich jeweils als Zwischenmahlzeit essen würde. Meine Antwort war, dass ich mit meinem Sohn jeweils ein Päckli teile. Sie meinte daraufhin, dass ich nur drei essen sollte.
Nach einer Woche messen, hatte ich mich an die ständige Stecherei gewöhnt. Was ich jedoch immer noch mühsam fand, waren die vielen Termine, da man das Kind in der Coronazeit schliesslich nicht mitnehmen konnte. Nachdem mir beide Expertinnen noch einmal versicherten, dass ich es gut mache (trotz vier Darvida, hihi), war ich etwas entspannter. Mein Mann und ich gönnten uns am folgenden Wochenende eine Nacht im Hotel und im Restaurant ass ich wie vor der Diagnose. Oh Wunder, die Werte waren alle gut, der Nüchternwert sogar besser als sonst. Hm??
Am kinderfreien Wochenende gönnte ich mir das erste Mal wieder ein Glace.
Plötzlich waren meine Nüchternwerte wieder schlechter und ich telefonierte mit der Beraterin. Ich sagte ihr, dass ich auch abends so esse wie von der Ernährungsberaterin verordnet. Ein Drittel Kohlenhydrate, ein Drittel Proteine und ein Drittel Ballaststoffe. Ich erwähnte aber auch, dass ich so dann nachts oft hungrig wach liege. Sie meinte, dass ich doch sicher mehr brauche und nicht zu stark auf die Kohlenhydrate achten soll. Gemacht, getan, ich ass "normal" und die Nüchternwerte waren in Ordnung. Ab da schränkte ich mich nicht mehr ein. Klar, abends vor dem Fernseher naschen war für mich kein Thema, das machte ich aber auch vor der Schwangerschaft fast nie. Aber ich ass wieder so viel wie ich wollte und schaute nicht wirklich auf die Kohlenhydrate.
Trotz der Diagnose empfand ich die Schwangerschaft als sehr schön und denke gerne daran zurück. Fotocredit: cocoeur.ch
Die Werte waren ab da immer gut, als ich zwei Wochen vor Geburtstermin aufhörte zu arbeiten wurden sie sogar noch besser, da ich länger schlafen konnte. Bei meinem Kontrolltermin im Spital sagten mir die Hebammen, dass ich trotz guten Werten auf dem Papier eine Schwangere mit Schwangerschaftsdiabetes sei. Dies bedeute, dass auch mein Kleiner nach der Geburt eng überwacht und der Blutzucker gemessen werden muss. Sollte dieser nicht in Ordnung sein, werde in Absprache mit dem Kinderarzt nach dem Stillen zugefüttert. Da ich bereits davon gelesen hatte, fragte ich nach dem Ausstreichen von vorgeburtlichem Kolostrum. Die Stillberaterin zeigte mir, wie man das Kolostrum gewinnt und gab mir kleine Spritzen mit. Rund zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin begann ich mit dem Ausstreichen von Kolostrum. Ich machte das zwei Mal täglich und meistens kamen nur ein paar Tropfen. Die Stillberaterin nannte es pures Gold und irgendwie war ich jedes Mal stolz, wenn das Gold tropfte. Ich fror auch die kleinsten Portionen immer ein. Eine mühsame Sache, aber ich wusste schliesslich auch warum ich mich dafür entschieden hatte.
Pures Gold.
Unser zweiter Sohn machte sich zwei Tage vor dem errechneten Geburtstermin auf den Weg. Wie abgemacht, brachten wir die gefrorenen Kolostrumspritzen mit ins Spital, wo sie dann im Tiefkühler verstaut wurden. Babys von Müttern mit Gestationsdiabetes können sehr schwer sein. Unser zweites Schreibhasenbaby wurde mit einem Normalgewicht von 3700g geboren. Nach der Geburt war sein Blutzuckerwert zwar in Ordnung, da er aber noch nicht so viel trinken wollte, wurde ihm das Kolostrum gegeben und die Werte waren danach immer gut. Auch meine Werte waren nach der Geburt gut und ich durfte die Messungen beenden.
Fotocredit: cocoeur.ch
Mit diesem Artikel möchte ich eine Schwangerschaftsdiabetes keinesfalls verharmlosen. Trotzdem möchte ich meine Geschichte teilen, weil ich nach der Diagnose fast keine Erfahrungsberichte ohne Horrorgeschichten finden konnte. Ich musste kein Insulin spritzen, hatte eine Geburt ohne Komplikationen und uns geht es heute beiden gut. Heute denke ich praktisch nie mehr an meinen Blutzucker. Ich hoffe einfach ganz fest, dass ich nicht zu der Hälfte gehöre, welche innerhalb von acht bis zehn Jahren nach der Geburt an Typ-2-Diabetes erkrankt.